Wissen und Gewissen
Über die Ambivalenz und die Grenzen der modernen Medizin
Samenvatting
Die gedankliche Ausgangsposition. Auf dem Boden der eng gefaßten analytischen Philosophie in ihrer Ausgestal tung als wissenschaftlich-technischer Positivismus er schien die Medizin in der ersten Hälfte dieses Jahrhun derts (und bei den meisten Ärzten bis heute) als ein metho dologisch geschlossenes (selbstreferentielles) System, eine naturwissenschaftlich begründete Disziplin. Unübersehbar ist aber, daß sie in vielerlei Hinsicht ihre engeren Fach grenzen überschritten hat. Je mehr sie sich nicht mehr allein fachspezifisch mit dem objektiverfaßbaren Kranken schicksal befaßt, sondern die individuelle Verkettung mit den allgemeinen gesellschaftlichen Belangen berührt (Eu thanasie, Gentechnologie, Organtransplantation, künstli che Intelligenz), gerät sie unausweichlich in einen öffentli chen Diskurs hinsichtlich aller ihrer Grundlagen, Traditi onsstränge und Methoden. Ihre ambivalenten Absichten und Entscheidungen bedürfen ebenso wie die aller ande ren Wissenschaften der diskursvermittelten Konsensprozes se der Gesellschaft. Letztere sind ein Teil des Wandels, der in unserer Zeit immer deutlicher hervortritt und sich Gel tung verschafft. Wissenschaftliche Freiheit muß sich im Rahmen allgemeiner sittlicher Wertvorstellungen verwirk lichen. Ist darüber im Grunde nicht alles schon gesagt? Kaum etwas, was die Fülle an Denken und schlüssigen Ge- VIII Vorwort danken in unserer Kulturgeschichte und Medizingeschichte ausgelassen hat. Gibt es dazu noch etwas zu sagen? Gewiß, denn es geht darum, die sich rasch wandelnden Gegeben heiten der modernen Welt mit dem "alten" Wissen auf den Begriff zu bringen. Unsere konkreten Handlungen sollen im Alltag wie auch unter komplizierten Lebensverhältnis sen die "Vernünftigkeit" hic et nunc erkennen lassen. Nicht einfach mit dem Blick auf bloße zweckdienliche Gegeben heiten, sondern umgreifender, nach-denklicher.